Was können Führungskräfte von Türstehern lernen?
In der aktuellen Folge meines Podcasts „besserjetzt – 30 Minuten für deine berufliche Weiterentwicklung“ traf ich mich mit Arnulf Schüffler. Arnulf promoviert an der Ruhr Universität Bochum im Bereich der Wirtschafts-, Arbeits und Organisationspsychologie. Doch der Grund, weshalb ich ihn sprechen wollte, war ein ganz anderer. Bevor Arnulf in den Hörsaal wechselte, arbeitete er im Bereich Security als Türsteher. Ich wollte von ihm wissen, wie viel Psychologie die Tür bereithält. Was hat er über Menschen lernen können? Und viel wichtiger Was hat er über sich selber lernen können? Natürlich habe ich ihn auch nach Tipps und Tricks gefragt, wie ich als Gast in jede Disco komme. Auszüge aus dem Interview könnt ihr hier lesen.
Michael Zocholl: Ist die Arbeit an der Tür nicht Diskriminierung in Reinform?
Arnulf Schüffler: Das ist sie. Und dazu muss man als Türsteher auch absolut stehen. Darüber muss man sich im Klaren sein. Man wird definitiv. Also gerade in der Einlass Situation geht es exakt genau darum. Man kann es auch Selektion nennen, dass man eben aussortiert. Wer darf rein und wer darf nicht rein? Dafür gibt es Kriterien. Das ist nicht Willkür. Das ist der entscheidende Punkt an der ganzen Geschichte, der es dann ja auch wieder rechtfertigt. Aber es ist Diskriminierung. Und ich hatte mal die lustige Diskussion mit einer Diskussion in Anführungsstrichen, muss man sagen, weil es war eigentlich gar keine richtige Diskussion, weil eine junge Dame, die anscheinend mit unserem Vorgehen nicht ganz einverstanden war, warfen mir dann wirklich über eine Viertelstunde vor, lautstark: das wäre diskriminierend. Und das einzige, was ich gemacht habe, war Ich habe mir absolut Recht gegeben und sage: „Ja, das ist unser Job, wir werden dafür bezahlt, zu diskriminieren.“ Dann setzte sie wieder an und sagte „Das wäre diskriminierend.“ Ich sagte Ich habe einen Spruch und irgendwann wird es langweilig. Aber ja, das ist das, was ein Türsteher in der Einlass Situation macht.
MZ: Was ist denn das Ziel einer jeden Tür?
AS: Einer jeden ist glaube ich schwierig zu sagen. Aber zumindest in diesem kommerziellen Veranstaltungsgeschäft, wo es eben auch darum geht mit Getränke Umsatz einen gewissen unternehmerischen Gewinn zu erzielen, hat die Tür einfach die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Gäste reinkommen mit der Prognose, dass sie auch ohne weitere Störungen, ohne negativ aufzufallen, ohne Stress zu machen, den Laden auch wieder verlassen werden. Das ist das allererste, worauf man achten sollte als guter Türsteher. Das zweite ist dann eben, dass sie auch möglichst zwischendurch ihre Getränke Umsatz bezahlen. Und auch für solchen sorgen. Also zu angetrunken an einer Tür zu erscheinen, ist allein schon aus kommerziellen Gründen keine besonders gute Idee. Und das Dritte ist dann eben auch die Einschätzung, dass man, egal was passiert, immer auch Herr der Lage ist als Türsteher. Also man sollte niemanden reinlassen, von dem man ausgeht, dass der im Zweifel auch mal die Oberhand gewinnt, weil die Tür muss am Ende des Tages immer gewinnen. Und wenn die Person dann auch noch den Anschein macht, einen positiven Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung leisten zu können, dann ist sie auch besonders willkommen. Aber die Kriterien sind die ersten.
Wer darf rein und wer darf nicht rein? Dafür gibt es Kriterien. Das ist nicht Willkür. (…) Aber es ist Diskriminierung.
An der Tür findet man viel Psychologie
MZ: Was ist denn dann so aus deiner Sicht der Punkt, wann eine Schicht für dich erfolgreich war?
AS: Also eine erfolgreiche Schicht ist. Also eine richtig erfolgreiche Schicht ist einer, wo wirklich alle Spaß hatten. Also da ist es dann eben bei einer erfolgreichen Schicht die große Gefahr, dass man zu sehr auch sich als Teil der feiernder Teil oder konsumierender Teil der Veranstaltung versteht. Da ist dann das Entscheidende, dass man trotzdem eben professionell bleibt und versteht, dass man eben nicht Gast auf dieser Veranstaltung ist, sondern arbeitet, aber durchaus auch Spaß haben kann und sicherlich auch Spaß verstehen darf und zu einer positiven Interaktion mit den männlichen und weiblichen Gästen allen Anwesenden da sind, dann eben kommt. Also das ist dann manchmal eben auch die Gefahr, gerade bei Veranstaltungen, wo absehbar ist, dass es wahrscheinlich kein besonders großes Eskalationspotenzial gibt, dass man einfach eher da ist, rein prophylaktisch, dass man dann eben auch in der Rolle bleibt und sich weiterhin professionell verhält. Aber das ist eigentlich so, dass für eine wirklich sehr, sehr gute Veranstaltung, für eine gute Schicht reicht es eigentlich, wenn die Tür wirklich wenig zu tun hat, sprich wenig deeskalieren muss, weniger Konflikte schlichten muss und vielleicht auch mal keinen rausschmeißen muss, wenn man das alles draußen vor der Tür lässt. Und die Frage ist dann natürlich auch immer „Wie viel Stress gibt es auch vor der Tür?“ Sprich, wie viele Menschen versuchen in die Veranstaltung zu kommen, die man da nicht haben möchte, aus verschiedensten Gründen, wie ich ja gerade schon sagte. Aber auch das da gibt es Veranstaltungen, also wo das auch kein großes Thema ist.
MZ: Wie bist du denn in den Bereich Security gekommen?
AS: Ich habe ja erst mit 35 angefangen zu studieren und war vorher unternehmerisch tätig und dann kam relativ unvermittelt mein Onkel auf mich zu und sagt „Jetzt wo an der Uni bist, hast du ja Zeit und da kannst du mir vielleicht mal helfen“. Also ich weiß bis heute nicht, wie mein Onkel auf die Idee gekommen ist, dass ich Zeit gehabt hätte, als ich an der Uni war, dass scheint so ein Klischee zu sein. Aber da ich auch ein sehr enges und sehr gutes Verhältnis zu meinem Onkel habe und er mir dann auch sagte, also würde mich eben bitten, für die entsprechenden rechtlichen Voraussetzungen zu sorgen, sprich die entsprechenden Schulungen zu machen und dann auch die Prüfungen bei der IHK zu machen, damit er mich auch bei größeren Veranstaltungen, wenn er mal Not am Mann hat, einsetzen könnte. Das war also eher so gedacht, dass ich mal ab und an was an der Tür mache. Und ja, dann habe ich das eben auch gemacht, um ihn da unterstützen zu können und bin dann aber auch relativ schnell relativ intensiv in das Geschäft reingerutscht, sozusagen, was erst mal durch Veranstaltungen kam, die wir dann auch im universitären Umfeld hatten. Also als ich dann an meiner Uni auch rumgesprochen, also dass ich was im Sicherheitsbereich mache, kam auch aus dem Bereich Anfragen für erst mal kleinere Formate und das waren dann eben Dinge, die ich auch teilweise selber dann alleine auch gemacht habe. Und dann ging es eben auch zu den größeren Läden. Da haben sich dann eben auch so typische Peaks erst mal Weihnachten, Tanz in den Mai, Halloween sind eben so die größten Events, die man da so hat. Und dann bin ich da angekommen und da bin ich auch ein Stück weit geblieben.
Die Tür gewinnt immer
MZ: Erklär noch mal, was heißt an der Tür arbeiten? Bzw erst mal welche Veranstaltungen gibt es, die man da unterscheiden kann und muss?
AS: Ich würde mal mit dem letzten Teil der Frage anfangen Welche Veranstaltungen kann man unterscheiden? Also erstmal publikumsoffene und geschlossene. Also ist es durchaus auch sinnvoll, bei der einen oder anderen geschlossenen Veranstaltung einen Türsteher zu haben, gerade wenn man eben nicht genau weiß, wer zu dieser geschlossenen Veranstaltung kommt. Das sind Veranstaltungen, wo man entweder im Vorfeld sich über Einlasskriterien den Zugang verschaffen muss. Das kann aber sein, dass man auch zu einem bestimmten Freundeskreis gehören muss, kann aber eben auch qualifizieren, wie typischerweise ein Abiball. Und das kann auch relativ schnell sehr unübersichtlich werden, dass auch keiner mehr so richtig weiß, wer jetzt dazugehört und nicht. Und dass man dann auch vielleicht sagt, da kann auch was schiefgehen. Und um zumindest diejenigen draußen zu halten, für die jetzt auch nicht direkt offensichtlich ist, dass sie nicht dazugehören. Im Sinne der Veranstaltung kann man sich auch den Luxus einer Tür leisten, bis hin zu offenen Veranstaltungen, wo in der Veranstaltung ja ein Stück weit Themen stattfinden, wo man sicherstellen möchte, dass diejenigen, die an der Veranstaltung teilnehmen, dann eben auch der Veranstaltung zuträglich sind im weitesten Sinne. Das kann eben eine kommerzielle Club Veranstaltung sein, wo es darum geht, Menschen dazu zu bringen, sich an einer Party zu beteiligen, dabei Getränke zu verzehren und aus Sicht des Betreibers zu einem gewissen wirtschaftlichen Erfolg beizutragen. Das kann aber genauso eine politische Veranstaltung sein, wo man sich eben über Themen austauschen möchte und wo man vielleicht Menschen nicht haben möchte, die Veranstaltungen massiv stören oder unmöglich machen.
Aber was mich am allermeisten dabei reizt, ist die Atmosphäre unter den Arbeitenden in der Nacht. Das ist so wie eine zweite Familie, ein Wahnsinns Zusammenhalt.
MZ: Was fasziniert dich denn an diesem Beruf?
AS: Mein Einsatzbereich sind diese klassischen Clubtür-Einsätze so Freitags-, Samstags-abends und vor Feiertagen. Oder eben auch bei anderen spannenden Veranstaltungen, wo normale Gäste eben auch ein bisschen was für aufwenden, dabei sein zu dürfen. Also das ist schon mal erst mal der Anreiz. Na ja, die anderen müssen dafür zahlen, um dabei zu sein und du wirst dafür bezahlt, um dabei zu sein. Und meistens ja auch in relativ prominenter Stelle. Also man ist ja nicht irgendwo in der Mitte der Veranstaltung, sondern meistens da, wo man schon einen ganz guten Überblick hat, wo man auch viel mitbekommt. Das ist ja auch teilweise das Ziel der Übung. Aber was mich am allermeisten dabei reizt, ist eben wirklich die Atmosphäre unter den Arbeitenden in der Nacht, am Wochenende. Das ist so wie eine zweite Familie, ein Wahnsinnszusammenhalt. Und was wir in der Psychologie eben auch über Teambuilding, über Team Prozesse wissen, das sind Prozesse, die an der Tür in der Regel wirklich innerhalb von Minuten ablaufen können, wo man Teambuilding par excellence erlebt, weil eben auch alle Türsteher untereinander in einer Schicht sofort wissen Okay, wir müssen ja auch aufeinander achten. Das Ziel muss immer sein, dass das Verständnis herrscht, entweder wir gehen alle gesund nach Hause oder keiner. Und es kann nicht sein, dass einer alleine gelassen wird in einer Konfliktsituation. Natürlich kann es immer mal sein, dass ein Kollege verletzt wird und man selber nicht. Das kommt natürlich vor. Aber man sollte zumindest in der Situation sicher sein, dass wenn man der Angegriffene ist, dass alle sofort zur Seite springen und jetzt nicht darüber nachdenken, dass sie sich vielleicht die kleinen Finger verstaucht könnten, wenn sie da jetzt eingreifen. Und das sind eben das schafft eine Atmosphäre und auch einen Zusammenhalt, der sehr, sehr schnell entsteht und dann auch sehr, sehr nachhaltig bleibt.
Arnulf Schüffler wechselte von der Tür in den Hörsaal
MZ: Eine Frage aus der Community war, ob das ein Job ist, den man sein Leben lang machen kann. Wie siehst du das?
AS: Ich kenne ältere Kollegen, die machen das – ich würde sagen – ihr Leben lang. Also wenn die erzählen, wie es in ihrer Jugend war, dann hat das auch viel mit Tür zu tun. Ja, kann man machen und ich glaube, es wird auch nicht langweilig. Die Frage ist, wie intensiv man das macht. Ja, aber auf mit dieser Methode kenne ich einige, die auch Entzugserscheinungen haben, wenn sie das mal über längeren Zeitraum nicht machen können.
MZ: Aber dir reicht die Tür ja nicht aus. Du hast schon den Hörsaal gesucht. Promoviert. Jetzt erklär doch noch mal, was du da genau machst und warum du auch Spaß und eine Leidenschaft für Psychologie hast.
AS: Ja, also mein Themenbereich ist die Arbeits, Organisations und Wirtschaftspsychologie. Und Psychologie ist ja definiert als die Wissenschaft vom Erleben und Verhalten der Menschen. Und was mich an beiden Welten wirklich fasziniert, ist eben dieser Match vom Erleben und Verhalten des Menschen an der Tür oder Veranstaltung in Extremsituationen. Das ist ja überhaupt keine normale Alltagssituation, die man da dauerhaft erlebt, sondern es ist ein ganz spezieller Kontext. Erst mal, und wenn es dann mal eskaliert oder hoch hergeht oder schwierige Situationen gibt, dann ist das ja wirklich Erleben und Verhalten unter dem Brennglas, in einem Kontext, den man sich als Forschender manchmal wünscht, dass man den so hätte und bestimmte Mechanismen wirklich so auf Knopfdruck quasi erzeugen könnte. Das kann man aber natürlich auch nicht. Und man hofft natürlich auch immer, dass so was nicht passiert. Aber wenn es denn mal passiert, dann kann man da wirklich auch eine Menge an Beobachtung rausziehen. Und das Spannende auch da wieder was einen triggert, dabei sein zu wollen, ist eben nicht nur die Beobachtung der anderen, sondern auch die Beobachtung des eigenen Verhaltens, wie man reflektiert im Hintergrund, also hintenraus reflektieren, dann aber eben auch damit analytisch umgehen kann, wie man sich selber in der Situation verhalten hat und was man da auch über sich selber und für seine eigene Zukunft lernen kann. Das ist der absolute Wahnsinn.
MZ: Du hast gerade von Extremsituationen gesprochen. Welche hast du schon erlebt?
AS: Also das Extremste war, dass so 2 Meter vor mir ein Gast angegriffen wurde von einer anderen Person, die einfach auch nicht reinkam. Also da hat die Tür erst mal einen guten Job gemacht, die Person nicht reinzulassen. Und das endete dann eine Messerangriff. Und die Person, also der Gast, der den Laden verließ, der sich auch in die Auseinandersetzung eingelassen hat, der wurde lebensgefährlich verletzt, hat überlebt, aber hat auch längere Zeit im Krankenhaus gelegen.
MZ: Wie war das für dich?
AS: Also eine große Kunst an der Tür besteht auch darin. Da braucht man auch ein bisschen Erfahrung und Übung in der Situation, einfach hoch funktional zu bleiben und gar nicht so sehr über die Situation zu reflektieren, da wirklich komplett handlungs und gar nicht lageorientiert zu sein, zu selektieren, was man jetzt besser machen kann, da hat man keine Chance, sondern da geht es wirklich darum, in der Schicht das zu tun, was in der Situation richtig ist. Aber am Ende denkt man schon mal drüber nach, wie gefährlich der Job dann wirklich ist.
Der Job an der Tür ist hervorragend für Teambuilding
MZ: Was macht denn dann aus deiner Sicht einen guten Türsteher aus?
AS: Auf der einen Seite ein sehr sehr guter Menschen Versteher und da sind wir vielleicht auch noch mal an dem Punkt Psychologie. Und ja, man kann da tatsächlich glaube ich sehr, sehr viel durch Erfahrung kompensieren. Aber auf der anderen Seite braucht es eben auch Durchsetzungsstärke und auch Bereitschaft, Verantwortung für die Situation zu übernehmen und sich aktiv einzubringen. Also ich hatte da mal den Fall eines, also rein physisch super ausgestatteten jungen Mannes, der war groß, war breit, war ultra durchtrainiert und der wollte es dann ausprobieren und dann hat man eine Probeschicht vereinbart und dann kam es während der Probeschicht zu einer körperlichen Auseinandersetzung und er stand wirklich mitten im Geschehen und hätte jetzt einfach zugreifen müssen, wirklich physikalisch seine Kraft einsetzen müssen, um den Konflikt zu deeskalieren. Und der stand einfach da und sagt „Ich kann nicht, ich kann nicht.“
Er war ein physisch super ausgestatteter Mann. Und der stand einfach da und sagt „Ich kann nicht, ich kann nicht.“
MZ: Wie muss ich mir das vorstellen?
AS: Also häufig ist es ja so, dass also im einfachsten Fall kriegen sich zwei Gäste in die Haare und haben dann nichts, keine Alternative zur Konfliktlösung, als sich gegenseitig körperlich zu bearbeiten. Und wann die aufhören, ist dann relativ. Man ist als guter Türsteher ja auch sehr schnell da und dann hilft auch nicht irgendwie, sich dazwischen zu stellen oder sonst was, sondern da muss man sich die eben greifen und zugreifen, die eben auch ein Stück weit fixieren, dass sie zumindest mal nicht mehr aufeinander einschlagen können. Aber dann hat man es erst mal mit einer relativ aufgebrachten Meute von mindestens einer Person meistens mehr zu tun, die man dann eben auch körperlich deeskalieren muss.
MZ: Und die Person, die beim Probearbeiten war, konnte das nicht. Was war die Barriere?
AS: Ich würde es mal sagen, das umgangssprachlich würde man das Beißhemmung nennen. Also der hatte einfach ein maximales Problem, wirklich seine körperliche Kraft gegen eine andere Person einzusetzen. Und zwar offensichtlich so, dass er versuchen musste, sie gegen ihren Willen unter Kontrolle zu bringen oder körperlich Kontrolle über die andere Person zu gewinnen. Und darum ging es.
MZ: Wir haben ja gerade schon mal über Extremsituationen gesprochen. Lass uns noch mal dahin zurückspringen, weil mich würde interessieren: Gab es für dich persönlich auch noch mal Momente, wo du Angst um deine Gesundheit hattest? Bzw auch noch mal Angst – vielleicht auch um ein oder sogar mehrere Menschenleben?
AS: Ja, ich erinnere mich an eine Evakuierung Reaktion. Also das war vor Corona und auf einer Open Air Veranstaltung und da war dann klar okay jetzt kommt ein Schlechtwetter Front auf uns zu mit einem Gewitter relativ ungewisser Ausgang, wie das dann für die Open Air Veranstaltung aussieht und der Veranstalter hatte sich zum Veranstalter Abbruch entschieden. Und jetzt war eben die Situation wettertechnisch die, dass man am Veranstaltungsort selber eigentlich noch gar nicht mitbekommen konnte, dass die Wetterlage drohte oder das Potenzial hatte, sich in den nächsten Minuten bis zu einer Stunde so zuzuspitzen, dass eben dieser Abbruch gerechtfertigt ist. Also die Menschen standen eben noch nicht im strömenden Regen und Donner und Gewitter und Wind, sondern es war noch alles relativ ruhig, wurde ein bisschen nass, aber das haben die meisten sehr billigend in Kauf genommen. Das heißt, der Grund für den Veranstalter Abbruch war jetzt für die allermeisten nicht wirklich transparent und das ist dann eben schon schwierig, wenn man die Masse dann wirklich, also so schnell wie möglich war. Der Auftrag, die von dem Gelände zu räumen, ohne dass die das jetzt auch sofort nachvollzieht, also wenn irgendwas offensichtliches passiert wäre klar, dann hätten das viele oder einige zumindest eine Chance gehabt, wahrzunehmen und dann eben auch zu kommunizieren. Aber das war eben ein Vorsichtsmaßnahme. Es hat sich auch rausgestellt, dass das eine sehr gute Vorsichtsmaßnahme war. Aber da wirklich die Masse schnell dazu zu bringen vom Gelände runter zu kommen und das kann man auch nur ein Stück weit üben. Natürlich habe ich vorher mit meinem Team gesprochen. Wenn wir in so eine Situation kommen, habt ihr vorher eingezahlt, aber gesagt, dann setzt du von da an und versuchst in die Richtung zu bewegen. Du machst das von da in die Richtung, sodass wir wirklich alle Fluchtwege bestmöglich ausgeschöpft haben, um da die Menschen runterzubringen. Aber in so einer Situation gibt es dann eben noch mal ganz, ganz individuelle Entwicklungen, dass aus verschiedensten Gründen Menschen entweder erst mal gar nicht runtergehen wollen und teilweise dann aber diejenigen, die runtergegangen sind, dann eben auch wieder versuchen, aufs Gelände zu kommen. Am besten bewegt man die Masse vor sich her, das heißt von der Mitte. Die Mitarbeitenden in die Mitte und dann in die Situation, die Menschen auseinander schieben, sodass man sehr schnell die Mitte geräumt kriegt und dann eben sternförmig quasi in die einzelnen Notausgänge die Menschen bewegt.
Arnulf promoviert im Bereich Psychologie
MZ: Wie entscheidet ihr jetzt dieser Gast kommt rein oder doch nicht?
AS: Wie gesagt, also es gibt ja durchaus erst mal eine Idee von der Veranstaltung. Es gibt Veranstaltungen, wo es heißt Jeder, der hier den Eintritt zahlt oder den Mindestsatz, wer bereit ist zu bezahlen, zu konsumieren, darf rein. Dann ist das so, dann kann man das als Tür sehr einfach umsetzen. Es gibt aber auch Veranstaltungen, wo man sagt Okay, ich denke mal so klassisch an Halloween. Wenn es wirklich eine Kostüm Veranstaltung sein soll, dann wird es man kennt sich, weil wer ist jetzt verkleidet, wer ist wo, wo, wo ist das? Also würde man das als Verkleidung nicht akzeptieren, dann ist man glaube ich in einem ganz klaren Konflikt Bereich. Es gibt aber auch Veranstaltungen, wo der Veranstalter eben sagt Nee, also die müssen bei mir aber Business Casual oder fein gemacht besonders schick sein, wenn ich da an ehemalige Clubs hier in Essen denke, wo, wo die Tür eben auch ganz bekannt dafür war, dass sie eben wirklich auf das Outfit der Gäste geachtet hat. Klar, dann ist das der Auftrag und da macht man das. Also letztendlich entscheidet das nicht der Türsteher, wen er reinlässt. Das entscheidet der Veranstalter und das ist dann Teil des Auftrags, das so gut wie möglich umzusetzen. Da gibt es dann auch häufig noch mal während der Veranstaltung Feedback, wenn der Veranstalter mit der Tür nicht einverstanden ist, sondern da wird noch mal nachjustiert. Aber ansonsten sind es eben wirklich die Gründe, die ich eingangs sagte, also so, dass man sich vorstellen kann, dass der Gast auch stressfrei die Veranstaltung wieder verlässt und im besten Fall auch noch seinen Deckel bezahlt.
MZ: Jetzt mal ganz konkret zu dir. Was hast du in diesem Job über dich gelernt, was du vorher vielleicht noch nicht wusstest?
AS: Ich glaube sehr, sehr viel. Also zwei Dinge würde ich da ganz grob erst mal vorweg einschlagen. Das eine ist, wie ich mich selber in bestimmten Situationen verhalte bzw. Wie ich darauf reagiere. Das ist etwas, was ich auch an der Tür noch deutlich besser gelernt und verbessert habe. Und das andere ist eben auch, was ich als Einzelperson im Zweifel auch gegen eine große Masse von Menschen erreichen kann.
MZ: Der Job ist geprägt von Provokation und Beleidigung. Wie gehst du mit diesen Punkten ganz persönlich um oder was hast du darüber gelernt und was nutzt du vielleicht jetzt für den Alltag?
AS: Aber wir erleben es ja durchaus auch, dass sich viele Gewalt auf die Straße verlagert hat, dass da viel Polarisierung stattfindet. Von daher bin ich schon froh, auch wenn ich einfach jetzt so durch die Innenstadt gehe, dass ich da einfach ein gewisses Erfahrungspaket mitbringe und fühle mich einfach aufgrund dessen schon ein Stück weit sicher. Das kann man glaube ich schon so sagen, aber was ich eines der ganz großen persönlichen Learnings war, aber das habe ich gar nicht selber gemacht, sondern das war eine Weisheit. Da kommen wir wieder zu dem Thema Kann man lebenslang an der Tür stehen? Das war von einem wirklich sehr, sehr altgedienten Türsteher, der irgendwann mal ganz am Anfang auf mich zukam und sagt Arnulf, du entscheidest, ob du beleidigt wurdest oder nicht. Und das war ein Learning, über das ich sehr lange nachdenken musste, also als Türsteher findet ja wenig im stillen Kämmerlein statt, sondern meistens alles auf einer sehr offenen Bühne. Meistens stehen andere Gäste noch mit drumrum in Zeiten oder seitdem das Handy auch Kamera hat. Spätestens da muss man immer damit rechnen, dass jede Handlung der Tür sofort fotografiert, gefilmt, dokumentiert, online gestellt wird. Egal, wie verzerrt der Kontext dabei auch sein mag. Und in solchen Situationen zu verstehen, dass auch wenn alle anderen, das mitkriegen, dass dich jetzt jemand Arschloch anschreit und das auszuhalten und zu sagen okay, den Schuh ziehe ich mir jetzt nicht an. Ich reagiere da einfach mal nicht drauf und ich lasse den einfach schreien zu verstehen, dass das restliche Umfeld auch versteht: „okay, da lässt du jetzt einfach stehen und schreien.
In Extremsituationen reflektiert man die Lage noch einmal anders
MZ: Was ist so die die goldene Regel an der Tür.
AS: Also die goldene Regel an der Tür. Die ganz große goldene Regel an der Tür ist: Die Tür gewinnt immer. Das heißt also, das heißt auch in so einer Situation, dass man sich so was nur leisten kann, wenn man relativ sicher ist, dass die übrigen Zuschauenden verstehen, dass es Größe ist, die man zeigt und nicht klein beigeben. Das muss schon auch durch Körperhaltung, Präsenz in der Situation dargestellt werden, dass man einfach zeigt Ich stehe über den Dingen und nicht ich bin jetzt hier zu feige, um darauf einzugehen. Also sobald dieser Anschein erscheinen würde, der andere gewinnt die Überhand und dominiert die Situation mit seiner Beleidigung. Und es liegt an ihm, jetzt nicht weiterzugehen oder andere Dinge zu tun, weil er einfach jetzt nur gerade Bock hat, einen anzuschreien. Dann wird es schwierig. Das darf nicht passieren.
Das heißt also, das heißt auch in so einer Situation, dass man sich so was nur leisten kann, wenn man relativ sicher ist, dass die übrigen Zuschauenden verstehen, dass es Größe ist, die man zeigt und nicht klein beigeben.
MZ: Arnulf lass uns langsam in die Schlussphase gehen, um im Bild zu bleiben. In der Disco wird schon mal ein bisschen gespült. Tresen wird sauber gemacht. Das Licht wird ein bisschen heller und wir sind ja in einem Führungs-Podcast. Was können Führungskräfte vom Leben an der Tür lernen?
AS: Wenn man es ernst nimmt und mit einem professionellen Anspruch machen möchte. Eine sicherlich absolut herausfordernde Situation. Das heißt zum einen ich ich verteile Aufgaben, bei denen ich durchaus auch schon eine Idee habe, wie gefährlich sie sein können. Und natürlich Ich kann auf drei Arten zu Ende gehen Der Mitarbeiter geht nach Hause. Das wollen wir immer. Das ist für die meisten absolut unreflektiertes Normal, dass sie so eine Arbeitspflicht für sie zu Ende geht. Aber natürlich kann auch bei der Polizei im Arrest ich kann genauso im Krankenhaus enden, dass man da auch länger auf einen Aufenthalt gebucht hat. Also das heißt, als Führungskraft muss ich mir auch genau darüber im Klaren sein und das habe ich zum Glück noch selber nicht erlebt. Aber altgediente Kollegen haben auch durchaus schon mal eine Schießerei an der Tür oder eine Messerstecherei erlebt. Das heißt, man ist eben in vorderster Reihe als erste Türsteher durchaus prädestiniert, angegriffen zu werden. Man kann aber auch in der Veranstaltung durchaus körperlichen Schaden nehmen. Und je nachdem, wie ich Menschen einteile als Führungskraft, ist das auch ein Risiko, was ich mit kalkulieren muss. Klar ist auch der Türsteher selber vor Ort und weiß, dass ihm das passieren kann. Ich habe da jetzt keinen Leute, die ich unrecht oder unvorbereitet in eine Situation schicke, sondern das ist allen klar und das ist eine ganz spezielle Verantwortung auch noch mal für den Mitarbeitenden. Und da stoßen wir natürlich auch ganz, ganz schnell an die Grenzen, dass Arbeit los sein soll und ich als Führungskraft eben auch Verantwortung für meine Mitarbeiter habe. Das ist dann noch mal eine ganz andere Dimension, als ich es in den meisten anderen Beschäftigungsverhältnissen habe. Zusätzlich habe ich das große Problem auf der multinationalen Ebene, dass eben eine erfolgreiche Tür eigentlich ein Ziel erreicht, was nicht wahrnehmbar ist. Das heißt nicht derjenige ist der beste Türsteher, der am Ende der Schicht fünf oder sechs oder sieben Gäste rausgeschmissen hat, drei Nasen gebrochen hat und noch so und so viele in Polizeigewahrsam befördert hat. Sondern eine Schicht ist dann erfolgreich, wenn einfach nichts passiert ist, sodass eben das Ziel eigentlich einer guten Tür ist, einfach mein Ziel zu erreichen und man hintenraus auch nicht mehr genau sagen kann War das Ziel jetzt wirklich mit der Anzahl der Personen, die vor Ort eingesetzt waren, nur erreichbar oder hätte es vielleicht auch einer weniger getan? Und da muss man dann eben über Kommunikation die Zielerreichung aufrechterhalten. Und das ist glaube ich etwas, wo viele Türen auch noch mal ein stückweit lernen können.
MZ: Aber wenn wir jetzt mal das Bild weiterspinnen und mal überlegen die junge Generation kommt aus dem Studium ins Unternehmen. Was kannst du jungen Menschen mitgeben, die in den Beruf gehen und vielleicht mit viel Motivation und Hochmut vielleicht hier und da in die Karriere starten? Was kannst du mit deinen Erfahrungen aus der Tür oder von der Tür mitgeben?
AS: Also Tür ist ja glaube ich einer der Bereiche. Das knüpft noch mal so ein bisschen an deine Frage mit den Schuhen an, der ja per se in vielerlei Hinsicht sehr klischeehaft behaftet ist und so der klassische Türsteher ist ja durchaus auch mit einem meistens männlich weißen Menschenbild verhaftet, der jetzt gerade nicht für höchste Bildungsabschlüsse steht. Und das sind Klischees, die es aber auch wechselseitig natürlich gibt. Und das ist etwas, was man an der Tür, glaube ich, ganz, ganz schnell lernt und was ich Gästen und dann eben auch Mitarbeitenden, jungen oder jungen Mitarbeitern in den Unternehmen mitgeben möchte. Das ist einfach wirklich noch mal sehr, sehr kritisch zu reflektieren. Und dann ist das wirklich hilfreich. Ist das angebracht? Passt das?
MZ: Hast du schon mal eine Entscheidung, jemanden nicht reinzulassen kurz danach revidiert?
AS: Ganz, ganz selten. Das hat eben wieder was mit Glaubwürdigkeit zu tun. Das heißt, ein Nein heißt Nein. Und bei uns an der Tür, also bei uns zumindest in den Teams, gilt grundsätzlich Wer das ausspricht, das ist auch die einzige Person, die das aufheben kann. Und das, was am wenigsten hilfreich ist, ist, wenn noch Freundinnen und Freunde dazukommen und den Türsteher versuchen zu überreden. Das sind eher Verhaltensmechanismen, die würde ich wirklich keinem empfehlen, weil die müssen bei einer guten Tür zu einer absoluten Reaktanz führen.
MZ: Arnulf, ich danke dir, dass du hier warst, es war ein ganz spannender Perspektivwechsel.
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Danke für den Beitrag. Ich finde es auch sehr wichtig, dass Sicherheitsdienste Verantwortung übernehmen und einen Überblick bewahren. Ich führe seit einiger Zeit eine Bar und an manchen Abenden wären wir ohne die Ruhe der Security echt aufgeschmissen.
Danke dir für deinen Kommentar, Clara. Gut, dass ihr euch da unterstützt.