Great Resignation – Job Crafting für bessere Arbeit
Wechselbereitschaft im Job steigt
The Great Resignation erreicht Deutschland. Ein Phänomen, das man bislang nur aus den USA kannte und den Umstand beschreibt, dass Menschen verstärkt mit einem Jobwechsel liebäugeln. Die Corona-Zeit und die Umstellung auf Remote-Work war für viele Angestellte eine Herausforderung. Plötzlich wurde der Esstisch zum Schreibtisch und in vielen Fällen auch noch zur Schulbank. Und das auch noch zur gleichen Zeit. Nun hatten wir zwei Jahre Zeit uns an diese Veränderung zu gewöhnen und sind mittlerweile im New normal angekommen. Es gibt Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt und Homeoffice institutionalisiert haben. Auf der anderen Seite finden sich Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zitieren. Ohne Wenn und Aber. In Zeiten des Fachkräftemangels ein klares Eigentor.
Ich sehe in meiner Beratungsarbeit nun eine Phase des Wiederfindens. Viele Menschen freuen sich, wieder mehr im Büro zu erscheinen und ihre sozialen Kontakte wieder aufzubauen. Allerdings gibt es auch viele Fach- und Führungskräfte, die kritisch – ja geradezu resigniert – auf die Pandemiejahre schauen. Die Enttäuschung ist groß. Zu wenig Unterstützung seitens der Führungskraft oder des Unternehmens. Kaum Ausgleich und neben einem hohen Workload auch noch viel Mental-Load. Ohne Ablenkung bleibt viel Zeit sich und seinen Job zu reflektieren. Und hier scheinen immer mehr Menschen zu dem Entschluss zu kommen, dass ein neuer Job her muss.
Zwischen Wille und Wechsel liegen Welten
In den USA startete eine Bewegung, die unter dem Titel „The Great Resignation“ bekannt wurde und für eine Kündigungswelle sorgte. Der Tenor lautet – stark verkürzt – „Lieber keinen Job als diesen Job“. Und zumindest die Bereitschaft sich mit einem Jobwechsel zu beschäftigen, steigt nun auch in Deutschland. Jeder vierte Beschäftigte ist auf dem Absprung und will in einem Jahr nicht mehr bei seinem derzeitigen Arbeitgeber sein, zeigt die aktuelle Umfrage des Gallup Engagement Index 2021.
Doch zwischen Wechselwilligkeit und tatsächlichem Wechsel liegen gerne einmal Welten. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Beschäftigt man sich intensiver mit anderen Unternehmen, ihren Kulturen und ihren Arbeitsbedingungen, findet man den cholerischen Chef plötzlich nicht mehr so schlimm und das eigene Gehalt doch als zu wertvoll. Alles nur menschliche Beweggründe, nur machen Sie uns doch langfristig nicht gesünder.
Eine Möglichkeit seine persönlichen Arbeitsbedingungen zu verbessern und gleichzeitig einen sinnvollen Beitrag für die Unternehmensziele zu leisten, ist das sogenannte Job Crafting. Hierbei geht es um die Anpassung verschiedener Merkmale des eigenen Jobs, sodass man die eigenen Interessen, Stärken und Werte besser einbringen kann. Bei diesem Angang versucht man Stellen, Positionen oder auch Rollen nicht mehr Top-Down zu definieren, sondern nutzt das Spezialistenwissen der Mitarbeiter und verändert sie, indem man Aufgaben anreichert, sie abändert oder einfach nicht mehr macht. Das Ziel liegt auf der Hand: Mehr Engagement, mehr Motivation und mehr Zufriedenheit und für die Unternehmen einen höheren Profit.
Job Crafting als Element von Employeeship
Führungskräften, denen bereits nach diesen Zeilen die Schweißperlen auf der Stirn stehen, sei gesagt, dass es nicht darum geht, dass Mitarbeiter sich nun allem Lästigen entledigen und nur noch ihr Ding durchziehen. Job Crafting ist ein Element eines Führungsansatzes, der darauf abzielt, dass die Menschen Verantwortung im Unternehmen übernehmen. Das sogenannte Employeeship – eine Mischung aus Leadership und Employee. Inzwischen kann man auf mehr als 20 Jahre Forschung zu diesem Thema zurückblicken und sagen, dass es darum geht, Zusammenarbeit auf ein Fundament aus Beteiligung, Verantwortung und einem Eigentumsbewusstsein zu stellen. Eine logische Folge, wenn man bedenkt, dass man mit Zielvereinbarungen kaum andere Ziele verfolgt.
Mit Job Crafting transformieren Unternehmen und Mitarbeiter Stellen, sodass sie besser auf die Stelleninhaber passen. Das bedarf einer hohen Veränderungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit, so muss man den Aufgabenkuchen nicht nur anders verteilen, man muss ihn im Zweifel auch neu backen und die Zutaten besorgen. Und da die Mitarbeiter eben nicht losgelöst und vogelfrei ihre Stelle verändern können, muss so eine Transformation gut ausgehandelt werden – insbesondere mit den Menschen, die Aufgaben neu übernehmen müssen. Aber um was geht es eigentlich konkret?
Drei Elemente: Task, Relational und Cognitive Crafting
Job Crafting beinhaltet drei Elemente, die man für eine Umformung in Betracht ziehen kann. Die erste Ebene ist das sog. Task Crafting, d.h. man verändert die Aufgabe. Dieses Element bezieht sich sowohl auf den Umfang von Aufgaben als auch auf die Form und Anzahl der Aufgaben. Beispiel gefällig? Stellen Sie sich vor, Sie sind HR Business Partner und lieben den Umgang mit Menschen. Gleichzeitig sind Sie gerne kreativ und in ihrem Freundeskreis für die ausgefallensten Geburtstagseinladungen bekannt. Ihnen kommt zu Ohren, dass Ihr Unternehmen ein Projekt aufsetzt, um das Logo der Firma neu zu gestalten. Dort wollen Sie sich einbringen. Oder Sie arbeiten als Assistent der Geschäftsführung und müssen regelmäßig ein KPI-Dashboard zusammenbasteln. Das ist nicht nur mühselig, sondern auch fehleranfällig, weil Sie einfach nicht so detailorientiert arbeiten können. Sie bitten die Reporting-Einheit um Unterstützung, die Ihnen die Daten fehlerfrei liefert, sodass Sie diese nur in Powerpoint darstellen müssen. Interdisziplinäre Projektarbeit oder die Delegation von Teilaufgaben sind beispielhafte Elemente für Job Crafting.
Die zweite Möglichkeit ist das Relational Crafting und bezieht auf die Beziehungen und Interaktionen, die mit der Stelle verbunden ist. Blicken wir auf die letzten zwei Jahre zurück, dann gibt es sicherlich den einen Kollegen, den man mit einem 15 minütigen MS-Teams Call viel angenehmer findet als im 1:1 in einem Meetingraum. Auch mit Rückkehr ins Büro wäre es denkbar, Termine einfach online zu belassen, weil schneller oder einfach angenehmer. Oder Sie sind mittlerweile ein alter Hase und empfinden es als pure Freude, Ihr Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Ein Glück, dass Ihre Personalentwicklung Mentoren sucht, die Auszubildende unter ihre Fittiche nimmt.
Vor der Kündigung die Situation reflektieren
Der dritte Aspekt ist das Cognitive Crafting und beschreibt eine veränderte Haltung gegenüber dem Job. Ich tue mich mit Vergleichen immer schwer aber den (abgenutzten) Vergleich des Müllmannes, der seinen Job liebt, muss jetzt einmal herhalten. Es gibt sicherlich Müllmänner, die ihren Job machen, weil es ihre Aufgabe ist und sie Geld verdienen. Es gibt aber Müllmänner, die zusätzlich noch erkennen, dass sie diejenigen sind, die ihre Heimatstadt sauber halten und damit einen wichtigen Dienst für die Gesellschaft erledigen. Sie verbinden mit ihrer Aufgabe einen höheren Sinn als lediglich die Aufgabenerfüllung. Ein Knackpunkt, der während der Pandemie deutlich wurde: „Warum gibt es eigentlich meine Aufgabe?“ – Für mich, das Unternehmen oder sogar die Gesellschaft. Hier ist Kommunikation gefragt und sollte das nicht helfen, besteht die Möglichkeit einer neuen Betitelung von Stellen. So nennt sich der Müllmann auch schon länger Fachkraft für Kreis- und Abfallwirtschaft.
Ist Job Crafting nun endlich das Allheilmittel? Sicherlicht nicht. Aber bevor Sie mit dem Gedanken spielen, den aktuellen Job an den Nagel zu hängen, dann überlegen Sie sich, ob es nicht vielleicht einen Zwischenschritt gibt. Zum Abschluss habe ich fünf Fragen notiert, die ich im Coaching stelle, um auszuloten, inwiefern ein Job Crafting ein Thema werden könnte. Schreibt mir gerne, wie ihr das Thema Job Crafting seht.
Reflexionsfragen
Reflexionsfragen:
- Welche Aspekte deiner Rolle sprechen dich an und wie könnte man diese verstärken?
- Erinnere dich an einen erfolgreichen Tag – Wie lief der Tag konkret ab?
- Welche Aufgaben saugen deine Energie?
- Hast du Rollenvorbilder im Unternehmen, bei denen du dir etwas abgucken kannst?
- Was ist der übergeordnete Sinn deiner Arbeit?
Quellen
Dutton, J. E., Debebe, G., & Wrzesniewski, A. (2016). Being valued and deval-used at work: A social valuing perspective. In Qualitative organizational research: Best papers from the Davis Conference on Qualitative Research, 3, 9–52. Information Age.
Pendleton D., Derbyshire P., Hodgkinson C. (2021) Job Crafting. In: Work-Life Matters. Palgrave Macmillan, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-030-77768-5_8
Van Wingerden, J., Bakker, A. B., & Derks, D. (2017b). Fostering employee well-being via a job crafting intervention. Journal of Vocational Behavior, 100, 164–174.
https://www.wiwo.de/erfolg/management/gallup-studie-jobwechsel-ja-gern-die-great-resignation-erreicht-deutschland/28227928.html